Harvard-Studie räumt auf mit Rasse-Mythen bei Hunden
Sind Golden Retriever wirklich immer freundlich? Oder sind Schäferhunde tatsächlich von Natur aus gehorsam? Viele Hundebesitzer:innen glauben, dass bestimmte Verhaltensweisen typisch für bestimmte Rassen sind – doch eine große Studie der Harvard University stellt diese weit verbreiteten Annahmen nun infrage.
Verhalten ist nicht gleich Rasse – das sagt die Wissenschaft
Im Jahr 2022 veröffentlichte ein Forschungsteam rund um Dr. Elinor Karlsson vom Broad Institute des MIT und der Harvard University eine der bisher größten Studien zu Hundeverhalten und Genetik. Ziel: herausfinden, wie stark die Hunderasse tatsächlich das Verhalten beeinflusst.
Dazu kombinierten die Wissenschaftler:innen zwei riesige Datensätze:
- Verhaltensdaten von über 18.000 Hundebesitzer:innen (aus einer Umfrage namens Darwin’s Ark)
- Genomdaten von 2.155 Hunden, darunter sowohl Rassehunde als auch Mischlinge
Die überraschende Erkenntnis:
Die Hunderasse erklärt im Durchschnitt nur etwa 9 % des beobachteten Verhaltens.
Das heißt: Obwohl viele Rassen für bestimmte Aufgaben gezüchtet wurden – etwa das Hüten von Schafen oder das Apportieren von Wild – lässt sich daraus kaum zuverlässig auf das individuelle Verhalten eines Hundes schließen.
Ein paar Zahlen aus der Studie:
- Über 49 % der untersuchten Hunde waren Mischlinge.
- Die durchschnittliche genetische Übereinstimmung mit einer bestimmten Rasse lag bei Mischlingen bei unter 25 %.
- Nur 1 von 8 Verhaltensmerkmalen (die sogenannte „Biddability“ – also die Bereitschaft zu gehorchen) zeigte eine signifikante Assoziation mit bestimmten Rassen.
- Physische Merkmale wie Körpergröße oder Fellfarbe zeigten hingegen eine genetische Erblichkeit von bis zu 85 % – also deutlich stärker als Verhalten.
Was bedeutet das für den Alltag mit Hunden?
Die Studie zeigt klar: Das Verhalten eines Hundes ist nicht fest in den Genen seiner Rasse verankert. Stattdessen spielen viele andere Faktoren eine wichtige Rolle – etwa:
- Erziehung und Sozialisierung
- Erfahrungen in der Prägephase
- Lebensumfeld
- Individueller Charakter
Wenn also dein Mischling gerne bellt oder dein Labrador stur ist, liegt das nicht zwangsläufig an seiner „Rasseveranlagung“.
Aber: Verhalten ist trotzdem (teilweise) vererbbar
Ganz vom Tisch ist die Genetik beim Verhalten natürlich nicht. Einige Eigenschaften zeigen moderate bis hohe Erblichkeit – allerdings nicht rassespezifisch. Dazu gehören z. B.:
Verhaltensmerkmal | Erblichkeit (geschätzt) |
---|---|
Biddability (Gehorsam) | ca. 25 % |
Bellfreude | ca. 20 % |
Reizreaktion | ca. 15 % |
Soziales Spielverhalten | ca. 12 % |
Das bedeutet: Es gibt tendenziell genetische Einflüsse, aber sie sind verteilt über viele Gene und nicht exklusiv an einzelne Rassen gebunden.
Besonders spannend bei Mischlingen:
Viele Menschen versuchen, aus dem Aussehen eines Mischlings Rückschlüsse auf sein Verhalten zu ziehen – etwa: „Der sieht aus wie ein Terrier, der muss sicher lebhaft sein.“ Doch die Studie zeigt: Das funktioniert nicht.
Selbst bei Hunden mit >50 % genetischem Anteil einer bestimmten Rasse konnte oft kein „typisches“ Verhalten festgestellt werden.
Fazit: Der Hund ist mehr als seine Rasse
Die Studie aus Harvard rückt unser Verständnis vom Hundeverhalten zurecht. Sie zeigt:
- Verhalten ist hochindividuell.
- Rassestereotype sind oft überholt.
- Mischlinge sind in ihrer Persönlichkeit genauso vielfältig – und vor allem nicht weniger berechenbar – als Rassehunde.
Quellen:
- MacLean et al. (2022): Ancestry-inclusive dog genomics challenges popular breed stereotypes, Science.
- Harvard Medical School: Dogs’ breed is not a strong predictor of behavior
- National Geographic (2022): Dog breeds are a poor predictor of behavior, scientists say
- Zusammenfassung bei Nature: Genetics and behavior of dogs